Verwirrende Kriegspropaganda in Russland
Dr. Anna Litvinenko und Denis Trubetskoy im Interview
Die politisch-militärische Instabilität nach dem Aufstand der Wagner-Gruppe in Russland soll durch gezielte Propaganda vertuscht werden und könnte zur Folge haben, dass das Regime noch aggressiver agiert.
Schadensbegrenzung durch russische Propaganda?
Von der aktuellen Unruhe in Russland soll abgelenkt werden: In russischen Medien wird zum Beispiel Putins Weisheit gelobt, die für die rasche Beendigung des Aufstands gesorgt haben soll oder auch behauptet, der Aufstand sei ein Versuch des Westens gewesen, in Russland einen Bürgerkrieg auszulösen. Diese Strategie ist nichts Neues, im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen Ukraine wird auf russischer Seite von Anfang an mit Propaganda-Mitteln gearbeitet - bereits im März 2022 haben wir darüber mit der Medienwissenschaftlerin Dr. Anna Litvinenko gesprochen, das Interview findest du hier
Staatliche Informationskontrolle
Kriegspropaganda soll die Bevölkerung vom eigenen Handeln überzeugen, Soldat*innen rekrutieren und/oder die Kampfbereitschaft des Militärs aufrechterhalten. Charakteristisch für Propaganda ist, dass sie die verschiedenen Seiten einer Thematik nicht darlegt und Meinung und Information vermischt. Heute spricht man vor allem im Zusammenhang mit autoritären und totalitären Staaten von Propaganda – oft verbunden mit anderen Formen staatlicher Informationskontrolle wie direkter Zensur, Einschränkung und Lenkung von Medien oder Verfolgung Andersdenkender. Vor allem diese staatliche Kontrolle erinnert stark an das Mediengesetz, das in Russland seit März 2022 gilt und das Worte wie Krieg im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Ukraine verbietet.
Wie die russische Regierung nun auch nach dem Wagner-Aufstand mithilfe von Propaganda versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben und ob er dem Regime schaden kann, darüber haben wir mit der Medien- und Propaganda-Expertin Dr. Anna Litvinenko von der Freien Universität Berlin gesprochen.
Was ist eigentlich passiert?
Die Gruppe Wagner ist eine private militärische Organisation aus Russland, die ehemalige Soldat*innen oder Ex-Häftlinge verpflichtet hat und nicht nur an den jetzigen Gefechten auf ukrainischem Gebiet beteiligt ist, sondern seit 2014 auch bei der Annexion der Krim dabei war und auf dem afrikanischen Kontinent zum Beispiel in Mali aktiv ist. Jewgeni Prigoschin, der Kopf von Wagner, hatte nun einen Aufstand angekündigt und letzten Freitag seinen Marsch Richtung Moskau begonnen. Gerade mal einen Tag später hat er die Revolte dann wieder abgebrochen - der Grund: ein Deal mit Putin, den der belarussische Machthaber Lukaschenko eingefädelt haben soll.
Verwirrend - so beschreibt Dr. Anna Litvinenko die russische Berichterstattung
"Einerseits versucht man zu zeigen, dass alles unter Kontrolle ist - alles ist vorbei und es war nichts Schlimmes sozusagen. Also das einfach so als Normalität zu verkaufen sogar. [...] Also diese Rede von einem versuchten Putsch eigentlich auch und von einem möglichen Bürgerkrieg, gibt es auch, und das klingt schon ernst." - Dr. Anna Litvinenko
Auch wenn über die Wagner-Gruppe selbst gesprochen wird, wird keine einheitliche Linie verfolgt, sagt Dr. Anna Litvinenko. Das ist aber auch ganz typisch für die russische Propaganda:
"Das Hauptmerkmal dieser Propaganda vom Kreml ist, dass sie inkonsistent ist, die ist auch sehr widersprüchlich von Anfang an. Das ist nichts Neues für die Leute." - Dr. Anna Litvinenko
Aber obwohl natürlich viele Kriegsgegner*innen ausgereist sind, gibt es immer noch Menschen in Russland, die Widerstand leisten und beispielsweise für einen Anti Kriegs-Social Media Post potentiell mehrere Jahre Haft in Kauf nehmen - offener Protest auf den Straßen ist nicht möglich.
Welche Rolle spielt der Wagner-Aufstand in Ukraine?
Mit dem Journalisten Denis Trubetskoy, der für deutschsprachige Medien aus Kyjiw berichtet, haben wir im Januar anlässlich des ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf gesamt Ukraine darüber gesprochen, wie der Krieg sein Leben und das der Menschen in Ukraine beeinflusst, das komplette Interview mit ihm findest du hier. In Bezug auf die aktuelle Situation in Russland sagt er:
"Also er [Putin] versucht jedenfalls innerhalb Russlands dieses vollkommen ausgedachte Bild in erster Linie aufzuzeigen, dass die russischen Sicherheitsbehörden und auch das russische Volk, dass alle sich hinter den Rücken von Vladimir Putin gestellt haben, dass alle irgendwie einheitlich darauf reagierten und diese Krisensituation gemanagt haben, was ehrlicherweise nicht wirklich der Fall gewesen ist." - Denis Trubetskoy
Denis Trubetskoy stellt klar:
"Das System wackelt. Aber man darf [sich] - gerade aus der ukrainischen Perspektive - definitiv keine allzu großen Hoffnungen darauf machen und [muss] einfach das eigene Ding durchziehen." - Denis Trubetskoy
Dr. Anna Litvinenko sagt, dass es auch sein kann, dass Russland jetzt erst Recht Stärke zeigen will:
"[Der Wagner-Aufstand] kann aber als Konsequenz haben, dass das Regime auch mit viel mehr Aggression reagiert, weil das in die Ecke getrieben wurde, und deswegen kann es sein, dass sie jetzt unmittelbare Erfolge erzielen wollen im Krieg und dass sie einfach mit viel mehr Kraft und viel mehr Aggression jetzt agieren, um quasi auch da Erfolge vorweisen zu können, die dann wieder von dem ganzen Chaos in Russland selbst ablenken." - Dr. Anna Litvinenko