Sufjan Stevens: Javelin
Das Album der Woche
Was macht man mit Wurfspeeren? Man wirft sie. Direkt ins Herz.
Zum Anfang ein kleiner Hinweis vom Artikelschreiber:
Sich die Nachrichten und die Wahlergebnisse anzuschauen und nebenher Javelin zu hören, kann zu einem ziemlich miesen Stimmungstaucher führen. Auch das neue Album von Sufjan Stevens geht nicht gerade zärtlich mit der Tränendrüse um.
Hören muss man es aber trotzdem in jedem Fall
Denn Javelin sprüht vor Hoffnung und atemberaubender Schönheit – aber es bricht einem auf dem Weg dahin mehr als nur einmal das Herz.
Zurück an der Gitarre..... und an so gut wie jedem anderen Instrument
Sufjan Stevens hat immer noch diesen speziellen Ruf weg: Vom immer leicht bedrückt schauenden Typen, der mit Gitarre in der Ecke sitzt und einen tieftraurigen Song nach dem anderen spielt. Die letzten Jahre hat es fast so gewirkt, als wolle er mal ein anderes Bild von sich zeigen – vielleicht auch, damit Menschen endlich damit aufhören, ihn nach den restlichen 49 Alben über die Vereinigten Staaten zu fragen. Da gabs zum Beispiel The Ascension, sein umfangreicher Ausflug in den Synthiepop, seine zweieinhalbstündige Meditation auf Convocations oder sein herrliches cineastisches Abgenerde mit Angelo de Augustine.
Für Javelin meldet sich jetzt aber der klassische Sufjan zurück: Er klingt plötzlich wieder verdammt nah dran an den alten Singer-Songwriter Zeiten.
Damit kann er aber auch ziemlich leicht auf die falsche Fährte führen. Opener "Goodbye Evergreen" fängt als reduzierte, intime Klavierballade an. Doch dann eskaliert der Song plötzlich in einen lärmenden, verzerrten Chorus, der den besungenen Verlust schmerzhaft wunderschön verdeutlicht. Sufjan Stevens Songs klingen zwar immer persönlich und nah an der Seele, aber die Produktion grenzt fast schon an süßlichen Größenwahn. Auch Songs, die ohne schockierenden Stimmungswechsel auskommen, brechen regelrecht aus: "Will Anybody Ever Love Me?" startet als sanft gezupftes Lagerfeuerständchen und verwandelt sich dann nach und nach in ein Orchester voller Drumcomputer und sanfter Streicher. "A Running Start" lässt dann am Ende einen definitiv nicht katholischen Engelschor auf die Kopfhörer los und "Shit Talk" wagt doch noch einmal einen Ausflug in Richtung Ambient.
Javelin holt also nicht nur die alten Fans wieder ab, es zeigt auch was Sufjan in den letzten Jahren alles dazugelernt hat.
Die Liebe eines Lebens
Ähnlich wie Sufjans Musik sind auch seine Texte mysteriös vielseitig: Klar geht es auf Javelin um die Liebe, aber da könnte man auch sagen, im Herr der Ringe ginge es um Goldschmuck. Sufjan versucht hier das Mysterium als Ganzes zu begreifen, mit allem, was dazu gehört. Vom ersten Aufglühen ("A Running Start") über das frustrierende Absterben ("So You Are Tired") bis hin zum schmerzhaftesten Verlust ("Goodbye Evergreen"): Sufjan schafft es immer, seine Texte zwischen karger Realität und mysteriösen Traumwelten hin- und herschwingen zu lassen. So findet in den Texten wahrscheinlich gleichzeitig jede*r diese eine Zeile, die perfekt zur eigenen Lebensgeschichte passt. Aber Sufjan erzählt so auch von seinem ganz eigenen Weg: Am Releasetag hat Sufjan das große Mysterium der Platte einfach selbst gelöst. Sie erzählt die Geschichte von ihm und seinem verstorbenen Ex-Partner, den er selbst als die Liebe seines Lebens bezeichnet.
Javelin erzählt die ganze Geschichte voller Funken, Frust, Trauer und Hoffnung – das einzige, was eben noch schönere und traurigere Geschichten schreiben kann als Sufjan Stevens ist eben das Leben selbst.
Tracklist: Sufjan Stevens - Javelin
Goodbye Evergreen
A Running Start
Will Anybody Ever Love Me?
Everything That Rises
Genuflecting Ghost
My Red Little Fox
So You Are Tired
Javelin (To Have And To Hold)
Shit Talk
There's A World