Olivia Kortas über Polen und die EU
Olivia Kortas ist Journalistin und Osteuropa-Korrespondentin und hat selbst polnische Wurzeln. Im Interview mit egoFM Gloria ordnet sie die aktuellen Konflikte zwischen Polen und der EU ein und erzählt, welche Konsequenzen sie für sinnvoll hält.
Der Konflikt zwischen Polen und der EU
Aktuell sorgt der Rechtsstreit zwischen Polen und der EU fast täglich für neue Schlagzeilen. Im März wurde Polen von der EU vor dem Europäischen Gerichtshof angeklagt, weil die polnische Justizreform die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung untergraben und damit gegen den EU-Grundwert der Rechtsstaatlichkeit und dementsprechend auch gegen EU-Recht verstoßen soll.
Auslöser des Konflikts ist zwar die polnische Justizreform, die Streitigkeiten rund um das Prinzip "Rechtsstaatlichkeit" kommen allerdings seit 2015 immer wieder auf. Damals wurde die Parte Prawo i Sprawiedliwość, kurz PiS, Regierungspartei. Die PiS ist gemäßigt EU-skeptisch und wird auch als nationalistisch, christdemokratisch und (rechts-)populistisch beschrieben.
Polen beharrt wiederum allerdings darauf, dass nationales Recht immer über EU-Recht steht.
Das hat auch das polnische Verfassungsgericht Anfang Oktober bestätigt. Olivia stellt allerdings klar, dass das polnische Verfassungsgericht eigentlich sowieso nicht mehr als solches bezeichnet werden kann, da es seit der fragwürdigen Besetzung der Richter*innen 2016 nicht mehr unabhängig ist.
Große Teile der polnischen Bevölkerung stehen nicht hinter dem Verhalten der Regierung
Immer wieder protestieren in Polen Menschen gegen die polnischen Reformen und zeigen damit, für wie gefährlich sie die Änderungen halten. Nicht nur die EU, sondern auch viele Teile der Bevölkerung betrachten die Entwicklungen in Polen also sehr besorgt. Nach wie vor wollen 80 Prozent der polnischen Bevölkerung in der EU bleiben und stehen nicht hinter der EU-kritischen Haltung der Regierung - Olivia sagt, dass nur ungefähr fünf Prozent der Pol*innen für einen Polexit - also für den Austritt Polens aus der Europäischen Union - sind. Die Fronten verhärten sich aber trotzdem immer mehr: Am Dienstag warf der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki der EU sogar Erpressung vor.
Auch die Regierung kann allerdings kein Interesse an einem Polexit haben.
Olivia hält das Verhalten der Regierung für Machtspielchen und vermutet eine andere Intention, als den Polexit:
"Es ist eigentlich eine Botschaft nach Innen, es ist eine Botschaft an die eigenen Wählerinnen und Wähler. Die Aussage ist im Endeffekt: "Wir machen alles richtig und die EU verstößt gegen unsere Verfassung und nicht wir verstoßen gegen das EU-Recht." So muss man das verstehen, aber klar, dass wird in Europa ganz anders aufgefasst, das wird zurecht als ein Signal der polnischen Regierung aufgefasst, dass Polen vielleicht die EU verlassen möchte." - Olivia Kortas
Auch der Umgang mit geflüchteten Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze ist vor allem ein starkes Signal nach Innen und wird ihrer Meinung nach wahrscheinlich weniger als ein Druckmittel nach außen genutzt werden. Durch Bilder von Soldat*innen und neu errichteten Stacheldrahtzäunen hat die PiS Prozentpunkte zulegen können, sagt Olivia.
Nichtsdestotrotz fordern viele Politiker*innen, dass dieses Verhalten Konsequenzen haben muss
Eine erste Möglichkeit ist ein Rechtstaatsverletzungsverfahren, anschließend könnte auch der Rechtsstaatsmechanismus ausgelöst werden, durch den EU-Mittel gekürzt werden können. Olivia hält die Kürzung von finanziellen Mitteln für eine wirksame Maßnahme. Denn genau auf diese Weise wurden auch die mehr als umstrittenen und höchst homophoben "LGBT-Ideologie-freie Zone", die kurzzeitig in Polen eingeführt wurden, wieder aufgehoben.
"Das wurde dann auf einmal, ohne große Diskussion zurückgenommen. Also ich denke, dass diese finanziellen Maßnahmen auf jeden Fall der richtige Weg wären." - Olivia Kortas
Aktuell hält Brüssel Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds in Höhe von 36 Milliarden Euro zurück, wie genau es allerdings im Umgang mit Polen in Zukunft weitergeht, wird derzeit auf dem EU-Gipfel in Brüssel von den 27 Staats- und Regierungschefs diskutiert, der am 21. und 22. Oktober stattfindet.