Keinen Alkohol zu trinken ist nur im Januar okay
Meinung: Warum Alkoholkonsum zu sehr normalisiert ist
Der Januar ist eine Ruheoase für alle, die ganz generell keinen bis sehr wenig Alkohol trinken - endlich mal keine nervigen Sprüche oder gar Spott.
Ich liebe den Januar
Obwohl ich eigentlich alles daran hasse. Es ist kalt, nass, trist, im Nacken hängt noch das alte Jahr, während auf dem Buckel Vorsätze fürs neue Jahr munter Rodeo reiten. Letzteres allerdings kommt mir zugute, denn ein sehr beliebter Vorsatz ist: weniger Alkohol trinken. Deswegen finden sich jährlich Millionen von Menschen, um gemeinsam den Dry January zu bestreiten (also ein kompletter Monat, in dem auf Alkohol verzichtet wird).
Damit sind Leute, die eh nichts oder so gut wie nichts trinken, endlich mal keine Besonderheit mehr in geselligen Runden. Also: Endlich keine Rechtfertigungsnot, endlich keine Überredungsversuche, endlich Ruhe. Zumindest so lange der Dry January dauert. Denn meistens wird am 1. Februar schon auf das Bestehen oder zumindest fast Bestehen des trockenen Januars angestoßen. Und das, obwohl innerhalb der 31 Tage schon einige gesundheitliche Verbesserungen spürbar sind.
Wichtiger Hinweis zwischendrin: Challenges wie der Dry January sind nicht geeignet für Menschen, die bereits alkoholabhängig sind und unter Entzugssymptomen leiden würden, wenn sie nichts mehr trinken. Wenn du dir nicht sicher bist, wie dein Körper auf einen Entzug reagiert, sprichst du am besten vorher mit deinem*deiner Ärzt*in darüber.
Alkoholverzicht hat einige Vorteile
Weiß eigentlich auch jede*r, nur wirklich bewusst ist es deswegen nicht unbedingt: Alkohol ist ziemlich kacke für die Gesundheit, sowohl die körperliche, als auch die psychische.
Eine Studie der University of Sussex weist einige körperliche Veränderungen durch den Verzicht auf Alkohol auf:
82% der Teilnehmer*innen waren sich im Anschluss der Challenge bewusster über ihren Alkoholkonsum
80% hatten ihren Konsum dadurch besser im Griff
71% haben realisiert, dass sie keinen Alkohol brauchen um Spaß zu haben
71% konnten besser schlafen
67% hatten mehr Energie
58% haben Gewicht verloren
57% konnten sich besser konzentrieren
54% hatten eine bessere Haut
Mein Problem mit Alkohol
Nicht, dass es mich interessieren würde, ob irgendwelche Leute, die ich nicht kenne, Alkohol trinken - deren Körper, deren Entscheidung*. Mir geht es um das Prinzip, das meine eigene Entscheidung in Frage stellt. Nämlich:
Alkoholkonsum wird viel zu stark normalisiert
Meiner Erfahrung nach erregt es weniger Aufsehen, wenn man sich Bier für Bier zuballert, als wenn man auf einer Party mit einem Glas Apfelschorle entdeckt wird. Dann muss man sich nämlich gleich rechtfertigen und diverse persönliche Fragen zum Grund des Verzichts beantworten. Wobei man jetzt sagen könnte, dass das vielleicht nur ein Problem in einfach allen Freundeskreisen ist, in denen ich schon war. Das waren nur eben schon so viele, dass ich dadurch einfach mal auf den Durchschnitt der Gesellschaft schließe. Aber natürlich können wir auch einen Blick auf wissenschaftliche Zahlen werfen...
Der deutsche Durchschnittskonsum
Einer Studie von YouGov zufolge trinken 20 Prozent der Befragten in Deutschland mehrmals im Monat Alkohol, 19 Prozent sogar mehrfach die Woche. Aus einem weltweiten Zustandsbericht, den die Weltgesundheitsorganisation 2018 veröffentlicht hat, geht des Weiteren hervor, dass Deutschland weltweit auf Platz #05 im Konsum von Alkohol liegt: 13,5 Liter reiner Alkohol wurden 2016 durchschnittlich pro Kopf (≥ 15 Jahre) konsumiert. Vor Deutschland liegen nur Moldau, Litauen, Tschechien und die Seychellen. Frankreich liegt auf Platz #11 und Großbritannien auf #24.
Damit also zurück zu meinem Anliegen
Natürlich ist es deine Sache, ob du trinkst oder nicht. Ich will einfach in Ruhe gelassen werden, wenn ich keinen Alkohol konsumieren will. Und das ist halt einfach nicht der Fall.
Was man sich anhören muss, wenn man keinen Alkohol trinkt:
Musst du fahren?
Du musst doch gar nicht fahren!
Bist du krank?
Ach komm, ein Schnaps geht schon
Stell dich nicht so an, hier nimm den Schnaps jetzt
Ach bitte
Bitte trink
Biiiiitte komm schon
WIR WOLLEN DOCH NUR SPASS HABEN
Sei halt keine Spaßbremse!!!!!!
Wir alle trinken!!!!!!!!!!!!!
Und natürlich der Klassiker, wenn man eine Frau ist: Bist du schwanger?????????????????????????????????
Natürlich kann jeder Mensch immer Nein sagen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie oft ich dann doch einknicke und meine Prinzipien über Bord werfe, wenn man nur lange genug psychischen Druck ausübt. Den Ärger, den ich im Nachhinein darüber empfinde, kann ich gar nicht in Worte fassen. Also: Einfach akzeptieren, dass Person XY keinen Alkohol trinken will, anstatt das Schnapsglas vor dem Gesicht hin und herzuschwenken.
Die Beweggründe, warum jemand keinen Alkohol trinken will, sind übrigens total egal und müssen auch nicht erörtert werden - wenn die Person selbst das nicht tun will.
Was man stattdessen sagen kann:
Cool!
Was würdest du sonst gerne trinken?
Vielleicht klappt es ja irgendwann, dass es kein Highlight des Abends ist und wilde Fragezeichen aufwirft, wenn eine Person in der Truppe mit einem alkoholfreien Bier oder sonstigem Softgetränk anstößt. Immerhin lassen Statistiken etwas positiv in die Zukunft blicken - waren es 2018 noch 25 Prozent, die seltener als einmal im Monat Alkohol getrunken haben, sind es 2021 immerhin schon 27 Prozent. Darauf erhebe ich meine sparkly Apfelschorle!
*mit "deren Körper, deren Entscheidung" meine ich die lediglich die individuelle Entscheidung, überhaupt Alkohol zu trinken - nicht das Maß. Denn ab einer gewissen Menge toleriere ich den Alkoholkonsum anderer nicht mehr - nämlich sobald die betrunkene Person andere Menschen damit in Gefahr bringt.
Dazu auch ein paar Zahlen des Bundeskriminalamtes: Alkoholisierte Menschen haben 2017 13.343 Unfälle im Straßenverkehr mit daraus resultierenden 13.463 Personenschäden zu verantworten. 231 Menschen starben dabei. Gewalttaten unter Alkoholeinfluss machten im selben Jahr 26,8 Prozent aller Gewaltverbrechen aus. 30,5 Prozent der Tatverdächtigen des Totschlags und der Tötung waren alkoholisiert.